Der Drache von Schloss Oberhofen
Es war einmal ein Königreich, das so klein war, dass die Landkarte nur ein Pfeil mit der Aufschrift „ungefähr hier“ zeigte.
In seiner Mitte stand Schloss Oberhofen – ein prächtiger, unpraktischer Bau aus Türmen, Zugbrücken und Beschwerdeformularen.
Dort lebte Königin Schwedin, eine Frau, die Grausamkeit mit Stil betrieb.
Sie war immer elegant, immer intrigant – und so kalt, dass die Diener im Winter einfach in ihrer Nähe standen, um das Wasser zu gefrieren.
Ihr Mann, der König, lag schlafend im Bettencenter, dem königlichen Schlafzimmer. Seit drei Jahren.
Offiziell hiess es, er ruhe „in königlicher Besinnung“. Inoffiziell: Er hatte einfach keine Lust mehr.
Das höfische Chaos
Das Schlosspersonal bestand aus einer Ansammlung guter Absichten und schlechter Ergebnisse:
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Lares, das Burgfräulein, sehnte sich nach einem starken Ritter. Und möglichst nach einem, der nicht ständig von Pferden fiel.
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Mammone, der edle Ritter, war hübsch, mutig – und gedanklich meist abwesend.
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Herr Egli, der bucklige Glöckner, kümmerte sich um die Schlosstechnik, also darum, dass nichts funktionierte, aber dafür regelmässig Funken sprühte.
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Nino, der gute Knecht, tat alles – was eine höfische Umschreibung war für: Er machte die Arbeit von allen anderen.
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Artos, der Hofnarr, war die offizielle Erinnerung daran, dass das Leben ein Witz ist – und der Hof ihn nicht versteht.
Und dann gab es Max, den Zauberer.
Er war höflich, stark und sah aus, als hätte er zu viele Nächte damit verbracht, das Unmögliche in Ordnung zu bringen.
Das lag daran, dass er genau das tat.
Das Unglück
Eines Morgens – es war Dienstag, und das Schloss hatte gerade beschlossen, kollektiv später aufzustehen – erschien Manu, der Drache.
Gross, schuppig, laut und mit einem Hang zu Monologen über Weltherrschaft.
Er setzte sich auf den Westturm und begann, Teile davon zu essen.
Die Königin schrie.
Der Ritter glänzte (hauptsächlich vor Angstschweiss).
Herr Egli zog an einem Hebel, woraufhin das Tor aufging – nach innen.
Und der Hofnarr rief: „Ich hab’s euch gesagt!“ (Er hatte nichts gesagt.)
Kurz gesagt: Panik.
Der Zauberer tritt auf
Während der Rest des Schlosses damit beschäftigt war, chaotisch in alle Richtungen zu laufen, trat Max aus seiner Turmkammer.
Er trug ein Gewand, das früher einmal weiss gewesen sein musste, und einen Blick, der sagte: Das ist jetzt wirklich mein Problem, ja?
Er sah den Drachen an.
Er sah den Hof.
Er seufzte.
Und dann tat er, was Zauberer selten tun: Er dachte nach.
Er kannte die Natur des Drachen Manu – ein Wesen, das durch Gier, Eitelkeit und leichte Reizbarkeit definiert war.
Also rief er ihm zu:
„O Manu, grosser Schuppenkaiser, Herr des Feuers und Feind der Dachziegel! Ich fordere dich heraus – zu einem Duell der Worte!“
Das war mutig.
Oder dumm.
Bei Max war das meistens dasselbe.
Das Duell
Der Drache lachte. Dann hustete er, weil Rauch in die falsche Lunge geraten war.
Er willigte ein.
Max hob seinen Zauberstab. Es war eigentlich ein Spazierstock, aber er trug ihn mit so viel Würde, dass niemand es bemerkte.
Er sprach Worte, die klangen wie Latein, rochen wie Schwefel und fühlten sich an wie Steuerformulare.
Ein Wind erhob sich.
Die Wolken zogen sich zusammen.
Das Schloss vibrierte.
Und dann, in einem Blitz aus purer Magie, verschwand Manu.
Nicht in einer Explosion, nicht in Rauch – sondern in ein Buch.
Ein dickes, ledriges Buch mit der Aufschrift:
„Mythische Fehlentscheidungen, Band I.“
Der Drache hatte endlich einen Platz in der Geschichte gefunden – buchstäblich.
Das neue Zeitalter von Oberhofen
Als der Staub sich legte, trat die Königin hervor, vollkommen bleich – was bei ihr ein gutes Zeichen war.
Der Ritter jubelte.
Der Hofnarr fiel in den Burggraben (ohne ersichtlichen Grund).
Und Lares sah Max an, als hätte sie gerade verstanden, was Stärke eigentlich bedeutete.
Von da an war Schloss Oberhofen friedlich.
Der König schlief weiter.
Die Königin wurde höflicher – aus Angst.
Herr Egli erfand versehentlich Strom.
Und Max wurde Berater, Retter und stiller Held des Reiches.
Er weigerte sich, Statuen von sich aufstellen zu lassen. Stattdessen schrieb er über das Ereignis ein Buch.
Titel:
„Wie man Drachen beseitigt, ohne die Belegschaft zu verlieren.“
Es verkaufte sich hervorragend.
Und so lebten sie alle in Frieden,
nur ein bisschen klüger –
und Max ein bisschen müder.
Denn wie jeder gute Zauberer wusste er:
Nach dem Drachen kommt immer der Papierkram.
Bemerkung: Diese Geschichte ist frei erfunden und hat mit echten Menschen oder Geschehnissen nichts zu tun.